Koan Kenan 11FREUNDE

Publish date: 2024-11-09

Unter­kante der Latte, Pfosten, drin! Ein Tor, wie man es selten sieht und eins, das die feh­lende Kom­mu­ni­ka­tion in der deut­schen Defen­sive auf­zeigte. Eine Flanke flog am zu zen­tral ste­henden Ben­jamin Hen­richs vorbei und fand Kenan Yildiz. Leroy Sané war nicht recht­zeitig mit zurück­ge­rückt, sodass der 18-jäh­rige Deutsch-Türke völlig frei­ste­hend den Ball so der­maßen in den Winkel jagte, dass man den Ein­druck hatte, es handle sich um etwas Per­sön­li­ches. Und das ist nicht aus­ge­schlossen. Denn dieses Tor zeigte auch die feh­lende Kom­mu­ni­ka­tion des DFB mit dem Tor­schützen auf: Yildiz, der den 2:1‑Treffer für die Türkei gegen die deut­sche Natio­nal­mann­schaft erzielte, hätte näm­lich auch für Schwarz-Rot-Gold auf­laufen können. Das Tor fei­erte er mit aus­ge­streckter Zunge, als wollte er sagen: Das habt ihr jetzt davon! Doch nicht nur der DFB hätte diesen Ver­lust ver­hin­dern können.

Abschied von den Bayern

Geboren wurde Kenan Yildiz in Regens­burg und durch­lief zehn Jahre lang die Aka­demie des FC Bayern Mün­chen – und das erfolg­reich: Yildiz war meis­tens Kapitän und Leis­tungs­träger seiner jewei­ligen Mann­schaft und ent­wi­ckelte eine wert­volle Fle­xi­bi­lität. So kam er auf allen vier Posi­tionen in der Offen­sive zum Ein­satz. Ob links, rechts, als Stürmer oder Zehner: Er besitzt die Fähig­keit, mit seiner Dynamik, seinem starken Abschluss und seiner Ein­satz­freude dem Spiel auf viel­fäl­tige Art und Weise seinen Stempel auf­zu­drü­cken. So brachte es Yildiz in der Saison 2021/22 auf sechs Tore und acht Vor­lagen in 20 Par­tien. Doch dann kam der Sommer, Ver­trags­ver­hand­lungen standen an und es gab unüber­brück­bare Dif­fe­renzen. Der dama­lige Sport­chef Hasan Sali­ha­midzić sprach danach von finan­zi­ellen For­de­rungen, denen wir nicht ent­spre­chen wollten und konnten“. Eine fahr­läs­sige Ent­schei­dung oder die nach­voll­zieh­bare Reak­tion auf geld­gie­rige Berater und Jugend­spieler? Lothar Mat­thäus jeden­falls spricht von Ers­terem und kri­ti­siert Brazzo: Er hat viel­leicht nicht den Job gemacht, den der ein oder andere gemacht hätte.“

Kenan Yildiz wird das mitt­ler­weile egal sein. Er wech­selte nach den geschei­terten Ver­hand­lungen mit dem deut­schen Rekord­meister zum ita­lie­ni­schen Pen­dant Juventus Turin. Es war komisch, nach einer so langen Zeit bei den Bayern zu gehen. Ich habe intensiv über diesen Schritt nach­ge­dacht. Juventus hat mir die beste sport­li­chen Per­spek­tive auf­ge­zeigt, daher war es der rich­tige Weg“, wird Yildiz in der Sport­bild zitiert. Bisher wird er diese Ent­schei­dung nicht bereuen: Der damals 17-Jäh­rige spielte sich in der U23 der Bian­co­neri fest, flog im Sommer mit den Profis ins Trai­nings­lager und erar­bei­tete sich zuletzt fünf Ein­sätze in der Serie A. Meis­tens als zweite Spitze neben einem gewissen Dusan Vlahović oder Federico Chiesa. Lob bekam er von seinen Mit­spie­lern und von Coach Mas­si­mi­liano Allegri, der seinem Schütz­ling eine bril­lante Zukunft“ pro­gnos­ti­ziert. Für Yildiz geht der­zeit ein Traum in Erfül­lung: Ich habe diese Spieler als Fan im TV ver­folgt und jetzt bekomme ich Tipps von ihnen. Das macht unheim­lich viel Spaß.“

Jugend forscht – nicht mehr beim FCB

Ob es ihm jetzt weniger Spaß machen würde, diese Tipps von Harry Kane oder Leroy Sané zu bekommen, ist die eine Frage. Ob er bei Bayern über­haupt an diesen Punkt gekommen wäre, eine andere. Lange waren die Münchner ein Para­de­bei­spiel für gute Jugend­ar­beit und bil­deten Hoch­ka­räter wie Thomas Müller, Philipp Lahm, Bas­tian Schwein­steiger, Toni Kroos oder Mats Hum­mels aus, die beim WM-Titel 2014 eine Achse bil­deten. Doch seitdem ging die Anzahl erfolg­rei­cher Münchner Jugend­spieler stark zurück. Jamal Musiala ist seit vielen Jahren der Erste, der sich nach­haltig bei den Profis durch­setzen konnte. Andere fraglos talen­tierte Spieler wie Paul Wanner oder Josip Sta­nišić kamen auf zu wenig Ein­satz­zeit und wurden des­halb ver­liehen. Ein bekanntes Pro­blem, das die Ver­ant­wort­li­chen nun ver­stärkt angehen wollen. So ver­län­gerten die Bayern im Sommer zwar mit Cam­pus­leiter Jochen Sauer, gaben aber den klaren Auf­trag mit: Wir streben eine engere Ver­net­zung sowie eine stär­kere Durch­läs­sig­keit an. Es sollen mehr Talente den Sprung in den Pro­fi­fuß­ball schaffen.“ Dieser Pro­zess braucht seine Zeit. Es ist also zumin­dest frag­lich, ob Kenan Yildiz sich über­haupt derart in den Fokus gespielt hätte, wenn er bei den Süd­deut­schen geblieben wäre.

Ver­säum­nisse des DFB

Wohl außer Frage steht, dass er bei einem Ver­bleib bei den Bayern mehr im Fokus des DFB gewesen wäre. Dieser hatte bis Oktober noch die Mög­lich­keit, an Yildiz her­an­zu­treten. Mehr noch: Laut Sport1 habe sich das Manage­ment des Spie­lers sogar Anfang Oktober mit der Frage an den DFB gewandt, ob Inter­esse an Yildiz bestehe – und han­delte sich offenbar eine Absage ein. Resultat: Am 12. November gab er sein Debüt für die tür­ki­sche A‑Nationalmannschaft, ohne jemals vor eine Wahl gestellt worden zu sein. Yildiz selbst sagte der Bild: Deutsch­land ist nie auf mich zuge­kommen, hat mich nie kon­tak­tiert. Ich hätte mich mit einer Anfrage aus­ein­an­der­ge­setzt, es gab aber keine.“ Glaubt man dem Ex-Trainer der Türkei und der deut­schen U21, Stefan Kuntz, hätte aber auch eine solche wahr­schein­lich nicht viel geän­dert: Durch die fami­liäre Bin­dung geht die Ten­denz der Spieler oft dahin, für die Türkei zu spielen. Das Umfeld beein­flusst mit einer hohen Iden­ti­fi­ka­tion für das Land.“ Zudem sei es in der tür­ki­schen Aus­wahl ein­fa­cher, auf Ein­sätze in der A‑Nationalmannschaft zu kommen als in der deut­schen. Diese Kom­bi­na­tion ist schwer zu schlagen“, so der 61-Jäh­rige. Trotz all dieser Argu­mente besteht sogar noch die theo­re­ti­sche Chance eines Ver­bands­wech­sels: Nach neuen FIFA-Regu­la­rien darf ein Spieler diesen nun auch nach drei A‑Länderspielen noch voll­ziehen, solange er beim ersten Ein­satz unter 21 Jahre alt war – Yildiz passt mit seinen zwei Län­der­spielen und 18 Jahren also in das Anfor­de­rungs­profil. Doch dieses Sze­nario scheint nur Wunsch­denken zu sein.

Obwohl letzt­end­lich beim DFB wohl nie­mand etwas an der Tat­sache hätte ändern können, dass Yildiz in Zukunft für die Türkei auf­läuft, bleibt der Ein­druck einer ver­passten Chance. Und bei jedem Unter­kante-Latte-Pfosten-drin-Tor von Yildiz wird man sich bei den Ver­ant­wort­li­chen fragen müssen: Hätten wir es nicht doch ver­su­chen müssen?

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